Man denkt nicht zuletzt an das tragische Schicksal der Anne Frank, wenn man über Judith Herzberg schreibt. Die hochbetagte jüdische Schriftstellerin, hier vor allem als Dramatikerin an renommierten Bühnen gefeiert sowie für ihren Einsatz für die in Auschwitz ermordete jüdische Malerin Charlotte Salomon gewürdigt, wurde 1934 in Amsterdam geboren und hat die Zeit der deutschen Okkupation der Niederlande mit ihren beiden Geschwistern auf dem Land verbracht, wo sie voneinander getrennt an wechselnden Orten versteckt wurden. Ihre Eltern, Abel Jacob Herzberg und Theodora Loeb-Herzberg, haben das KZ Bergen-Belsen überlebt und wurden dann aus dem sogenannten „Verlorenen Transport“, der sich auf dem Weg nach Theresienstadt befand, von der Roten Armee befreit – der Vater avancierte nach dem Krieg seinerseits zu einem bedeutenden Schriftsteller.
Dieses traumatische, für ein ganzes Zeitalter jüdischen Lebens in den Niederlanden stehende Familienereignis wurde ein Grundpfeiler von Herzbergs Literatur und ist es bis in die Gedichte ihrer neuen, die letzten 25 Jahre umfassenden Auswahl geblieben. Die Autorin, die perfekt deutsch spricht, wird Christiane Kuby sicher bei deren Übersetzung unterstützt haben. Die ist ausgezeichnet.
„Wir waren Stümpfe, Rumpf / ohne Glieder, wir lagen im Schlamm / bei einem in Trümmer gelegten Rijksmuseum / und erkannten einander nur noch / an unseren Stimmen“ – es kann ein nie Realität gewordener, aber im Bereich des Möglichen liegender Albtraum sein, der die Erinnerung an die Schoa heraufbeschwört, das Zurückblicken auf die unmittelbare Nachkriegszeit, als das Mädchen elf wurde und das Wort „Überleben“ noch nicht zum Vokabular seiner Umwelt gehörte, oder die „Suche nach / einem anderen Wort für / Massenmord“. Über den Gedichten schwebt stets das Unaussprechliche des Menschheitsverbrechens, was am deutlichsten wird, wenn Herzberg überhaupt nichts mehr veranschaulicht und es kurz und knapp bei dem Hinweis auf die „bekannte Tragödie“ belässt.
Skeptisch-schnörkelloses Schreiben
Überhaupt lebt Herzberg in ihrem poetischen Sprechen von der Reduktion auf das Nötigste und Wesentliche, ein faltender Stil, der sich gerade bei harten Bildfügungen anbietet: „Es gibt auch solche / die würden nie ein Foto falten / doch auf einmal, und mit Wonne, / dem Nachbarn mit der Axt / den Schädel spalten.“ Und so schreibt Herzberg ihre Kurzgedichte, als schriebe sie, wie früher, „lange Briefe“: „mit sorgsam überlegten Worten / die wir meinten“. Es ist ein Schreiben mit einem Fühler für die feinen Unterschiede, etwa zwischen den Adjektiven „behutsam“ und „besonnen“; ein Schreiben, das „schönen Wörtern“ wie „laben“, die wir haben „links liegen, schleifen lassen“, nachtrauert; schließlich ein gegenüber Metaphern skeptisches schnörkelloses Schreiben: „es klingt einfach / zu sehr nach / Metapher“, kommentiert das lyrische Subjekt die Behauptung, ein schief stehender Baum fiele im Sturm nicht leicht um. Es geht Herzberg also auch um das Hand- und Fingerwerk der Poesie, für das sie in der Musik, bei zwei weltbekannten Gitarristen, eine Analogie findet: „Julian Bream der / mit dem Fernglas / zu Gitarrenkonzerten ging / um dort Segovias / Fingerspiel zu sehen.“
Herzberg remains short and sweet even when she puts her proximity to nature at the forefront, drawing short portraits of Ari Aruch or Samuel Agnon, for example, or reproducing snippets of dialogue and bizarre scenes from everyday life—such as the Woyzeck-esque appearance of a “dirty woman” in the lobby of an expensive hotel. When she is denied access to the toilet, and, as Buchner puts it, “nature comes in,” something like a protest takes place: “She spreads her legs a little and urinates on the deep-pile, colorful carpet, which absorbs everything immediately, ‘as if she were used to it.’”
Shernesian hair
What Christoph Meckel, Herzberg's slightly younger German writer neighbor, saw in his colleague's “circus poetry” when she accepted the Joost van Vondel Prize in 1980 also applies to the current selection: “In her,” the eulogist said at the time, “everything is there and powerfully merged; play, irony and pain, tenderness and hardness, cruelty, criticism and magic, longing, despair and protest, skepticism, naivety and precise thinking, ordinary experience and pure vision, and finally what is called 'the political.'”
Except that this incomparable combination, with which Mickle brings the author closer to Kirk, the witch of Greek mythology, has since become enriched with a fundamental insight: whoever discusses something also loses a little interest in it. It would be like writing as therapy: “I would rather hold your eyes for half an hour / Than a thousand miracles forever, / But even when I say that / I am no longer serious. // Then it is time to mourn / To tear your clothes and scream in pain / Because the fact that it matters less to me / Is worse than eternal sorrow.”
Judith Herzberg turns 90 in early November. It's time to get to know her award-winning poetry better.
Judith Herzberg: “Poems from the Years 1999–2024.”
Translated from the Dutch by Christian Coppe. Ruggerup edition, Berlin 2024. 155 pages, hardcover, €24.
“Explorer. Communicator. Music geek. Web buff. Social media nerd. Food fanatic.”
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